Verstörende Zerstörung

Von Trump lernen heisst … was?

28-07-2020
 

Das System funktioniert unter der Voraussetzung, dass alle sich daran halten, aber bekanntlich:
„Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“

Donald Trump hat Böckenfördes Diktum bewiesen:
Der Staat selbst kann sich gegen meinen Angriff nicht schützen! Wenn ich alle Regeln breche, ändere ich das System zu meinen Zwecken.

Wanted: der Anti-Trump (Trump © – heblo, pixabay)

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Den Gegenbeweis erbrachte Obama; ihn neutralisierte das System. Obama ist smart und verfügt über die Begabung, andere zu überzeugen – er hatte eine Strategie! Er setzte auf Kooperation, Vernunft, guten Willen: er irrte. Von Anfang an reagierte die Grand Old Party mit Obstruktion; dann versuchte er es mit dem Feilschen, „Tit for tat“, noch immer im Rational. Aber Obstruktion ist nicht auf den eigenen Vorteil bedacht, sondern auf den Nachteil des Gegenübers.

„Es war das erklärte Ziel vieler Republikaner im Land, Obama scheitern zu sehen – um jeden Preis. Kompromisse wurden gar nicht erst angestrebt.“

resümierte ein Kommentar zum Ende von Obamas Präsidentschaft. Gemessen daran hat er einiges erreicht – nicht genug, um den Erwartungen, die er selbst geschürt hatte, gerecht zu werden; aber vor allem: nur weniges hatte Bestand. Das Meiste davon kassierte Donald Trump, dem es, wie seiner Partei, eine Herzensangelegenheit war, alles, aber auch alles zu killen, zu zerschlagen, zu annullieren, zurückzuführen, was Obamas Vermächtnis hätte werden sollen. 

Obama hatte versucht – „Yes, we can“ –, mit dem System zu Reformen zu kommen. Für Donald Trump war es eine Lehrstunde, wie die Republikaner alles unterliefen; und das war! eine Lektion. Denn für Trump ist die GOP keine Heimat, lediglich ein Vehikel; überhaupt würde es seine Sache nicht, sich mit irgendwelchen Parteischranzen ins Benehmen zu setzen. Reich dem System den kleinen Finger, … Für Trump war Washington – rot oder blau – ein Sumpf. „Drain the swamp“ – sein System war es nicht.  

Liest man Kommentare und Rückblicke auf die (erste) Amtsperiode Donald Trumps, so erscheinen die Ergebnisse seines Wirkens am Beginn wie am Ende, im Einzelnen wie in der Zusammenfassung, dramatisch. Zweckoptimisten sind bereit zu glauben, dass der Schaden behoben werden kann.

"Kein Präsident regiert lange genug, um die Kontrollmechanismen zu zerstören." … "Auch dies wird vorbeigehen und alles wird okay sein.“,

so die optimistische Sicht von Ex-FBI-Chef James Comey. Die pessimistische Sicht dagegen blickt auf die Halbwertzeiten der Massnahmen: Trump hat nicht nur den Supreme Court, sondern auch zahlreiche Bundesrichter mit seinen Kandidaten besetzt; Trump

„… appointed two Supreme Court justices – Neil Gorsuch and Brett Kavanaugh – as well as nearly 200 other judges with lifetime appointments to lower federal courts.“,

das zählte es das PEW-Research Center bis zum 15. Juli 2020.
Diese Richter werden das Land für Jahrzehnte prägen. 

Und das ist nicht die einzige Erblast des Donald T.: 

Nehmen wir das ökonomische "Vermächtnis" – die Verschuldung des Staatshaushaltes, die schon nach der Finanzkrise in Sphären abgehoben hatte, die beim Kopfrechnen Mühe machen. Trump hatte die Schulden auf neuerliche Rekordstände getrieben, da war von Corona noch nicht die Rede. Jetzt, mitten in der Krise, sind es 23 Billionen Dollar oder 108% des GDP. Bis 2025 werden 115% erwartet.
60% gelten als gerade noch vertretbar.      

Dann die Innenpolitik: Trump hat die Grundfesten demokratischer Verfassung und Gewaltenteilung angegriffen.

„Er hat so ziemlich jede Regel des politischen Betriebs gebrochen.“

sagt Linda Greenhouse, Jahrzehnte lang Korrespondentin der NYTimes am Supreme Court, im FAZ-Interview. Cathryn Clüver Ashbrook, Gründungsgeschäftsführerin der „Future of Diplomacy“ an der Harvard Kennedy School in Cambridge, Massachusetts, wird noch deutlicher, wenn sie Trumps Präsidentschaft zusammenfasst:

„Unter dem Vorwand, das Land vom „tiefen Staat“ zu befreien, hat Trump alles daran gesetzt, die Institutionen der USA auszuhöhlen.“

Ashbrook spricht auch von der Aussenpolitik:
 „…Trump untergräbt die zentrale diplomatische Initiative der EU, den Iran-Atom-Deal, und stellt den Daseinszweck der NATO  infrage. Die Liste seiner Angriffe auf die multilaterale Weltordnung lässt sich verlängern … Zu Beginn des Jahres 2020 finden sich in Trumps Bilanz … jede Menge zerstörte Institutionen und Beziehungen im In- und Ausland.“ 
Meine Sicht auf unsere Freunde und Partner bringt sie auf den Punkt: 
„… besonders die Europäer meinen, dass sich hinter der rüden Haltung von „Amerika zuerst“ eine tiefere Wahrheit über den amerikanischen Charakter verbirgt. Sie glauben, dass Amerika die Maske fallen gelassen und sein wahres, hässliches Gesicht enthüllt hat.“ 

Niemand sollte diese Ergebnisse unterschätzen, sie werden die USA und die Welt langfristig begleiten und belasten. Wenn man aber diese Spur der Zerstörung als solche „qualitativ“ bewerten wollte, so steht sie in einem geradezu umgekehrt proportionalen Verhältnis zu der Unzahl von einzelnen Verstössen und Verletzungen von nationalen und internationalen Usancen. Anders gesagt: An beinahe jedem Tag erschütterte der Präsident die Weltordnung, nur waren viele diese Anschläge oberflächlich und schlecht geführt, undurchdacht, ja, kindisch.

„Federal judges have ruled against the Trump administration at least 63 times over the past two years, an extraordinary record of legal defeat that has stymied large parts of the president’s agenda on the environment, immigration and other matters.“ so die Washington Post,
„… as we researched the subject, we found studies estimating the average “win rate” for administrations in the courts was somewhere around 70% whereas the Trump administration appeared to be losing at least 70% …“

In den meisten Themenfeldern war ein Elefant im Porzellanladen zugange, kein psychopathologisch-egomanischer Herostrat, der gerissen die eigenen Interessen verfolgte. Auf der Habenseite verbuchen die USA lediglich Schäden, und die sind beträchtlich; national-international-politisch gilt das, jedoch: Make no mistakes! Es ist Trumps Geschäftsmodell: alle anderen zahlen, während er sich die Taschen vollstopft. [s.u. NYT].
Ohne eine zweite Amtszeit – immerhin, so die gern zitierte Hoffnung, werden sich die Scherben auch irgendwie wieder zusammenfegen und reparieren lassen. Das wird schwierig und teuer, aber noch hat das System (auch hier: hoffentlich) keinen Knacks am Rückgrat. Inzwischen gibt es sogar Republikaner (google: Lincoln Projekt), die eine weitere Amtszeit verhindern wollen, und in einigen Belangen könnten sich die Verletzungen auch zu einer Katharsis auswachsen, in dem Sinne, dass es ersteinmal schlimmer werden musste, bevor es besser werden kann. 

Ein Teil dieser Hoffnung verdankt sich, s.o., der mangelnden „Qualität“ der Trump’schen Flurschäden: es ist schlechte Arbeit: Lesen ist seine Sache nicht, einen Sachverhalt zu durchdringen, schon gar nicht. Seine Aufmerksamkeitsspanne entspräche der eines 4-Jährigen, seine Sprache habe es auf das Niveau eines 4.Klässlers gebracht. Glauben wir gern. Besser belegt ist, dass der Präsident gar nicht die Zeit hat: Beispielsweise besuchte er in 155 Wochen 242 Mal einen seiner Golfplätze, fast zweimal die Woche. Golfspieler wissen, dass so ein Besuch mit Hin&Zurück kaum unter 6 Stunde zu haben ist, und auch Präsidenten müssen sich dafür schon sputen. Zwei Mal in der Woche, da fehlt ihm mindestens ein Arbeitstag. Während die Anforderungen – zumal in der Krise – zunehmen. Nicht überliefert wird, wieviel Zeit der Präsident vor den Fox-News verbrachte.

Nun muss aber ein Präsident auch nicht alles selbst machen. Er hat seine Leute: einen engeren Berater-Stab von ca. 60 Leuten (plus das Kabinett). Von denen hat er (laut Brookings Institution, zit.n. NZZ) in drei Jahren über 80% gefeuert, mehr als jeder Präsident vor ihm in einer kompletten Amtszeit – wobei wiederholte Umbesetzungen nur als eine gezählt wurden (der Sinn dieser Verdichtung erschliesst sich mir nicht; an der Aussage selbst ändert das nichts). „Hire&Fire“ – auch das unterläuft die Qualität: Selbst wenn man etwas kaputtschlagen will, braucht es doch eine gewisse Einarbeitung, um herauszufinden, wo genau ein Schlag treffen soll.

Ein zweiter Quell der Hoffnung ruht darauf, dass die Welt aufgehört hat, Trump als politische Person ernst zu nehmen: VOR der Corona-Krise vertrauten nur 29% der Weltbevölkerung darauf, dass Trump globale Fragen zu behandeln versteht; eine aktuellere Zahl gibt es nicht. Allerdings ist die Weltbevölkerung in den USA nicht wahlberechtigt! Mit den Polls in den USA könnte es sich ähnlich verhalten: Seine Wahlniederlage gilt als sicher, wahrscheinlich …, jedenfalls für die, die sich das wünschen. Kommt uns das bekannt vor? Armin Nassehi ist skeptisch und stellt fest, dass

Je idiotischer Trumps Reden und Debattenbeiträge aussehen, desto stärker sind sie in der Lage, die Debatte zu bestimmen und desto schwächer machen sie das Gegenargument.“

Trumps Reden sind Akte der Zerstörung, nicht der Kommunikation.  

 

Soweit, so schlecht, soweit das Setting. 

Diese relativ ausführliche Ausleuchtung der Abgründe soll klar machen, dass mich das Trump’sche Zerstörungswerk mit Abscheu, Empörung und Verachtung erfüllt. Aber hey, das ist doch ein no brainer, inzwischen. Oder! Und obwohl Donald Trump eine seltene, ja, historische Katastrophe ist, langweilt es mich doch auch, darüber Buch zu führen. Das ist zynisch und auch ignorant gegenüber jenen, die darunter zu leiden haben, aber irgendwann in 2018 musste ich einsehen (s.o.: Nassehi), dass alle Empörung, und gerade die mühsame Beweisfühung, eher das Falsche befördert und die Zerstörung stabilisiert. 

Mich interessiert, wie in der Headline angedeutet, ein anderer Aspekt, den mir, soweit ich mich erinnern kann, noch kein anderer Staatsmann so drastisch vor Augen geführt hat [qtip:(1)| von Hitler abgesehen, dessen Staatszerstörung ich aber nicht selbst miterlebt habe]. Das bereits beiläufig eingeführte (Hufeisen-)Idiom steht dabei im Mittelpunkt:
Willst Du ein System verändern, darfst Du ihm nicht den kleinen Finger reichen.
Denn das System „kennt das Verfahren“: Wieviel Gutgläubige, Wohlmeinende haben schon versucht, das System zu reformieren?! Wieviele Demokraten hoffen und glauben, dass das möglich ist?! Soeben haben wir den „historischen“ EU-Gipfel hinter uns, Politik und Presse voll des (Selbst-)Lobes. Den Kürzungsrunden aber fielen genau jene Aspekte und Bereiche zum Opfer – Umwelt, Forschung, Bildung – auf denen sogar der Schwerpunkt allen investierens hätte liegen sollen, nein, müssen. Eine historische Chance: vertan, verdaddelt, verspielt, nein: trickreich unterlaufen! Wir sind noch ganz duselig von dem ganzen Bohai, dem Theaterstück Nachtsitzung an Nachsitzung und der ganzen PR; doch nach und nach sickert das Verständnis durch: They did it again! (Bitte ja, das Parlament muss zustimmen; aber die Pflöcke sind eingeschlagen.) Das ist nur ein Beispiel, eines in einer endlosen Reihe. 

Wir nennen es Gewaltenteilung, Checks & Balances, Arbeit am Kompromiss. Nur: Im Ergebnis sind das Verfahren, bei denen – plus/minus – alles beim Alten bleibt. Muss sich dann doch mal was ändern, so mögen sich die kollateralen Geschäftsschäden doch bitte im Rahmen halten. Genau dem dient der Kompromiss als fauliges Werkzeug.   
Weil das so umstürzlerisch klingt, ein realistisches Intermezzo: Der U-Turn ist eine riskante Operation.

Was so ein ausgewachsener Tanker ist, … Telekom, VW, Bayer …, der kann nicht auf der Stelle wenden und auch nicht sofort. Um wievieles mehr gilt das für den Staat? Ein solches Grossgebinde darf, wer es verändern will, nur langsam und behutsam um die Ecke lenken: es zerbricht sonst, zerbröselt. Logisch: zur Änderung des Systems müssen Schwärme von Teilsystemen mitgeführt werden, ungezählte Menschen müssen einen „wohlwollenden Beitrag“ leisten.
Das ist ja das Fatale an Revolutionen: Wenn sie gelingen (selten genug), wird das Personal ausgewechselt und oft genug nicht einmal das. Auch Revolutonäre wissen – oder lernen schnell –, dass der Staat, das System, von Trägheiten zusammengehalten wird, werden muss. Im Regelfall aber, eben wenn sie misslingen, führen Revolutionen ins Chaos. Anders gesagt: dass ein Staatsgebilde sich gegen allzu rasante Brüche und Umgestaltung zu wehren weiss, hat einen höheren Sinn! Du willst nicht alle 14 Tage in einem „anderen“ System aufwachen. Die Regeln, Verhältnisse, Prozesse bilden die Grundlage auch Deines Lebensentwurfes: Bildung, Arbeit, Wohnen, Alter usw., aber auch Teilhabe, Rechte, Ansprüche usw. – darauf willst Du Dich verlassen, und darauf musst Du Dich auch verlassen können. Das dazu.

Dann aber gibt es Gelegenheiten, die ein radikal anderes Handeln und System erfordern. Nimm die Corona-Krise: mit den üblichen Verfahren und Abstimmungen sässen die Gremien noch immer im Meeting. Der Erfolg, den die Bundesregierung zweifellos – und auch in den Augen der Weltöffentlichkeit – errungen hat, stützt sich – national wie regional – auf ein durchaus undemokratisches, ja: autoritäres, Durchregieren. Und es hatte seine Ordung: Der Staat war von der Zustimmung seiner Bevölkerung legitimiert. 

Nach einer Wahl ist das selten: 

Trump konnte nicht einmal die popular vote für sich gewinnen; sein „Mandat“ erteilte ihm ein Viertel der davon betroffenen Bevölkerung. Oft braucht es Koalitionen, um eine (mühsame, knappe) Mehrheit hinter politischen Zielen und Zwecken zu versammeln. Anders gesagt heisst das doch: auch bei einer demokratisch legitimen Regierung  kann von einer Legitimation durch die „ganze Bevölkerung“ nicht die Rede sein. Mit Opposition ist zu rechnen, und die Schonfrist ist rasch verstrichen. 
Am System Trump also interessiert mich, wie es gelingen kann, mit einer Regierung, die grad mal so gewählt wurde, „das System umzubauen“ (wenn nämlich „reformieren“ keine Option mehr ist).

Erste Frage: Warum interessiert mich das?
Nach der Krise ist vor der Krise 

Das ist eine pessimistische Sicht; Krise als Erwartung, Finanzkrise, Digitalisierungskrise, die Klima-Krise sowieso und nicht zuletzt die nächste Migrationskrise. Krisen über Krisen, es ist ja keine Frage des Ob. Die Corona-Krise versperrt nur die Sicht. 

Diese kommenden Krisen sind so langsam, dass für sie die Ausnahmeregeln, wie in einer Pandemie, nicht in Ansatz kommen. Sie unterliegen dem Tagesgeschäft, das macht sie so bedrohlich. Wenn es dauert, werden wieder alle mitreden wollen: einerseits aber anderseits …, die Freiheit …, meine Rechte als Mensch, als Bürger …, überhaupt: alles Lüge…, und muss das sein, wir fordern … Schlimmer noch: (zu viele) Menschen bestehen auf ihrem Recht auf Dummheit, auf der Freiheit, sich selbst zu verderben, was geht es mich an, solln andere auf sich selbst aufpassen. Zu den absonderlichsten Diskussionen kommt es schon nach Wochen; was, wenn eine Krise sich über ein Jahrzehnt hinzieht oder länger? 

Corona geht vorbei, bevor der Unsinn die Oberhand gewinnt. Hoffen wir. Was aber, wenn eine Krise nicht vorbei geht? Die Freiheits-Helden werden weiter ihre Lieder singen, auch wenn die Welt in ernste Schieflage gerät. Der Faktor Zeit wird zum Misserfolgsfaktor. Aus der Einigkeit des Augenblicks kullern alsbald wieder unzählige Partikularpositionen, Fraktionen, Sekten, Dummheiten. Es gibt immer einen Kekulé, nein, es gibt viele. Eine Führung aber, die in der Krise zersplittert, bestritten wird, sich nicht durchsetzen kann, ist so katastrophal wie eine falsche, eine ignorante Führung:
Und werden sich die Krisen brav in einer Reihe aufstellen?
Oder kommt alles zusammen? Das wäre ein regelrechtes Weltuntergangspotential. 

Die Frage, die es – und hoffentlich nur für die Schublade – zu beantworten gilt, ist die: Wie gelingt es unter den Bedingungen einer Eskalation, das System – mit all seinen Zähigkeiten, seinem Zeitverschleiss, den falschen Kompromissen und Vorsichtsfehlern – zu überwinden, ohne dabei – als Trump-Kopie – die Welt in den Abgrund zu schubsen? Die diese Frage provozierenden Thesen haben allen Grund, bedacht zu werden: So, wie unsere Gesellschaft verfasst ist, erscheint sie einer dauerhaften existentiellen Krise nicht gewachsen! Die demokratischen Prozesse sind zu langsam, zu eitel, zu sehr von Interessen vergiftet, als das sie das Gemeinwohl vertreten.

Die Freiheiten, die wir verteidigen, wenden sich gegen uns. 

Und deswegen meine Frage: Muss das so sein? Welche Hoffnung bestünde dann, all die Widerstände zu überwinden, die „die Welt“ bisher davon abhalten, das Richtige zu tun? Mich interessiert Trump, weil mir das Zutrauen schwindet, dass wir mit den (demokratischen) Prozessen (die uns ja genau diese Situation eingebrockt haben – auch das darf man nicht vergessen), die Krisen überwinden werden, die uns bevorstehen. 

Also dann? Von Donald T. lernen heisst … was? 

Papperlapapp! Das gibt es nichts „zu lernen“, oder! Egomanie, Menschenverachtung und Unzurechnungsfähigkeit kann nicht als Vorbild herhalten! Wäre dem so, müsste ich natürlich zustimmen; nur sicherheitshalber will ich noch eine Schicht freilegen. 

Für das erratische Verhalten des Donald T. gibt es ja bislang keine schlüssige Erklärung – vielleicht ein paar Gerüchte und Verdachtsmomente: Mir lieferte das hartnäckige TamTam um die Steuererklärung das erste, und bislang auch das entscheidende Indiz. Denn die Psychologie allein überzeugt mich nicht: immer soll ich annehmen, der Präsident sei nicht ganz bei Trost. Ich spekuliere jetzt, aber nicht ganz ohne Netz.

„Wenn die Leute sagen, er sei inkompetent, frage ich immer zurück: Inkompetent wofür? Und was sind seine eigentlichen Ziele?“

sagt Sarah Kendzior. Denn bei allem, was er tut oder lässt, gibt es Gewinner, in aller Regel er selbst (mindestens aber er auch), und Verlierer, darunter Gefolgsleute, Unterstützer, Investoren, Aktionäre, kleine und mittlere Gewerbetreibende. 

„The Art of Losing Money“

Wie Trump sein High-Roller-Leben auf dem Rücken anderer gelebt hat, belegte die NYTimes in einem ellenlangen Stück im Wahlkampf 2016. Dort (und an anderen Stellen) lernen wir vor allem, dass viele, wenn nicht die Mehrheit seiner Geschäfte, im Bankrott endeten – ohne ihm persönlich zu schaden. Er deklarierte zwar persönliche Verluste in Höhe von fast einer Milliarde $ und zahlte über 10 Jahre keine Steuern. Doch zugleich führte er ein 7-Sterne Luxusleben. Er ist ein Parasit, ein Zerstörer, ein Kriegsgewinnler, und der sagt dann:

„Make America great again“
Amerika in der Krise, am Boden, alles kaputt, das Land in grottenschlechter Verfassung – ja, war es das denn? Obama hatte die Finanzkrise, na, sagen wir, mit Schulden und Spucke, ganz gut durchgestanden. Das GDP hat sich in seiner Amtszeit, trotz des Finanzcrash!, von knapp 15 auf 19,5 Bn $ gesteigert, also: welche Krise eigentlich? Ich vermute, dass die Erklärung der Trump’schen Motivlage im „great again“ zu finden ist – für das es nämlich in der US-Realität keine überzeugende Begründung gab: keine Depression, kein Corona, stattdessen Wachstum! Vielleicht waren es am Ende Trumps eigene geschäftlichen Misserfolge? Genauer bekannt ist sein Geschäftsgebahren aus den 80er und 90er Jahren; seit 2000 sind eigentlich nur Einkommensgerüchte aus dem TV-Business und dem Branding seines Namens recherchierbar. In letzte Jahrzehnt spielte Trump den Pausenclown – seine Reputation als Immobilien-Tycoon hatte er in Atlantik City verzockt. Naja, nichts genaues weiss man nicht; aber wenn man die 80er und 90er extrapoliert …

Nun, in der Rolle des Präsidenten jedenfalls würde er selbst wieder great again. Schaden würde das Amt jedenfalls nicht: Die BBC hat 2017 eine lange Liste veröffentlicht, in der sie die potentiellen Interessenkonflikte des Präsidenten untersuchte: Trumps regierungsamtliche Massnahmen spielten allesamt (auch) in seine eigenen Taschen, bis hin zur Auslastung seiner Hotels mit Staatsgästen oder der Vermietung (s)eines Flugzeuges an den Secret Service, damit der ihn im Wahlkampf beschützen konnte. Sogar USAtoday resümiert 2019:

„President Trump’s failure to divest from his businesses was the original sin of his presidency, because that failure made conflicts of interest inevitable.“ 

Der ganze tiefere Sinn der Präsidentschaft, das ist meine Arbeitsthese, war eine kühne, bauernschlaue, wenn nicht sogar kriminelle Kalkulation (warten wir es ab: ich bin ziemlich sicher). Wenn wir also eines von Trump lernen können, so dies: wie man die Leute verarscht und das System den eigenen Zwecken gefügig macht. 

Wollen wir das? Rethorische Frage!

Erst in der Umkehrung manifestiert sich meine Lehre des Donald T.: in der Einsicht, dass auch der Anti-Trump die Regeln brechen muss, will er/sie das System ändern – nämlich zum Gemeinwohl hin. Denn das ist die Crux: der Zweck und das Ziel des Systems, wie es liegt und läuft, ist der Status Quo, nicht das Gemeinwohl! 

Die kommende Krise, die abzuwenden ich bislang keine nachhaltigen Anstrengungen erkennen kann, ist eine Multifaktorkrise, in der das Klima den Ton angibt, Finanzen und Migration sich in der Dramatik abwechseln und die Digitalisierung mal zur Lösung und mal zur Verschärfung beiträgt. Die Breite dieser Krise betrifft alle gesellschaftlichen Interessen; deswegen erscheint sie – in meinen Augen – mit den herkömmlichen demokratischen Mitteln schlechterdings nicht abwendbar.

Ein Anti-Trump muss daher klüger vorgehen – natürlich! – und die Wirkungen seines Tuns bedenken. Muss die Kräfte im Blick haben, die den Status Quo um jeden Preis verteidigen – nicht sich mit ihnen zu Bette legen. Legitimität wäre die Messlatte: alternativlos; letztlich … ist Merkel ein Anti-Trump, sagen wir: die ß-Version. Sie brach die Regeln der rechten Mitte und vollendete die 150 jährige Geschichte der SPD in einem smiling take over. Sie handelte ohne Rücksprache, wo niemand sonst handeln konnte. Und sie tat auf eigene Kappe, was ausser ihr niemand hätte tun können, dürfen. 

Klar ist aber auch: Merkel hatte kein Programm, schon gar nicht eines zu Änderung des Systems (nicht einmal eines für Europa)! Ihr Anti-Trump fuhr auf Sicht, anspruchslos, auf dem Luxusdampfer einer prosperierenden Ökonomie. Mit einer weiteren Merkel wäre die Zukunft nicht zu gewinnen. Die Lehre aus Trump also ist, dass es für diese Zukunft einen Anti-Trump braucht, der die historische Lektion Trump verstanden und die politische Lektion Merkel gelernt hat.

Und ein Programm hat.