Skills für die Zukunft

Zu Gast an Deutschlands Universitäten

Erinnerungen. Einige etwas älter, die meisten durchaus frisch. Drei Mann hoch beschnuppern wir die Luft der Alma Mater. Wir kommentieren Plakate, grasen in Vorlesungsankündigungen, behecheln Schwarze Bretter, bescherzen die Cafeteria; Erinnerungen. Dann erinnern wir uns an unseren Auftrag: Wir suchen.

Denn wir suchen frische Köpfe - für Kundenprojekte, besonders für das Projektmanagement und die tägliche Projektarbeit, für uns selbst, Research, Strategie, für Studien. Gewiss, die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass sich nicht gleich alle Bedarfe an Unis werden abdecken lassen, sicher werden auch ein paar gestandene Profis gebraucht – und/aber/oder einige schon. Also geht es durch Stadt und Land, Gespräche mit Professoren, mit Studenten, Diskussionen über unsere Branchen und den allerneusten Hype; BuzzWordDropping. Und so weiter bis – logisch!, das war ja das Ziel unseres Besuchs – bis zur frontalen Gegenfrage: 

„Nun sagen Sie doch mal, was suchen Sie eigentlich?“  

... Auf der Rückfahrt gab es Diskussion. Wir hatten so eine Studentenzeitschrift entdeckt, den „UniSpiegel“, darin allerlei Seichtigkeiten und die auch Frage: 
„Hast du die nötigen Skills für das 21. Jahrhundert?“ 

Gefolgt von drei dummen Fragen (Dein Computer stürzt ab ...) und 15 flachhirnigen Auswahlantworten. Hast du mehr „a“-Antworten, bist du der Tekki, hast du mehr „e“-Antworten, bist du der Großkotz. Dazwischen ist es um keinen Floh intelligenter. Wer liest so einen Trash, außer ein paar weltverlorenen Beratern, die auf der Suche nach dem Zeitgeist sind? Allerdings, sagt Daniel, hätten wir ja auch nicht viel intelligenter geantwortet. Moment, sagt Tim, müsse man doch so ein Allerweltsgespräch von einem veröffentlichten Bladel unterscheiden, zumal wenn der Spiegel als Veranstalter auftritt. Jedenfalls, sage ich, sei die Frage selbst interessant. Was sollten Studenten lernen? Was sollten sie am Ende können? 
Wir landeten rasch im Grundsätzlichen ...

Erstens: Präambel

Die Welt teilt sich in die Welt der Atome einerseits, und in die Welt der Bits und Bytes andererseits (die natürlich, schon richtig, auch in Atomen auftreten, als Gattung aber „Repräsentationen“ bezeichnen, nicht Manifestationen).  Nur wer sein Weltbild an dieser epochalen Sicht ausrichtet, hat eine Chance zu verstehen, welche Anforderungen auf ihn oder sie zukommen. Dabei ist es ganz gleichgültig, mit welcher konkreten Disziplin sich der lernende Mensch befasst, das Studium muss, vom Verständnis her, mit diesem MindSet angegangen werden, in dem sich die Erkenntnisse der Nanotechnologie mit den Ableitungen der Digitalisierung und – damit einhergehend – der Virtualisierung verbinden. Es genügt nicht, dass ein fertiger MBA mit Google umgehen kann oder in einem eigenen Blog die Welt kommentiert – wenn gleichzeitig „die Abbildung und Steuerung der Welt“ komplett in Netzwerkstrukturen überführt wird. Es ist nicht hinreichend, mit einem schulischen „ungefähr“ über Physik oder Chemie oder Biologie zu denken – wenn diese Disziplinen gleichzeitig in der „Nanotechnologie“ aufgelöst werden. Die Welt, die sich über die nächsten Jahrzehnte im Rückraum dieser Zeitenbrüche restituieren wird, hat mit dem Weltbild, das wir aus dem letzten Jahrhundert mit uns tragen, allenfalls kulturhistorische Verbindungen. 

Zweitens: Basic Skills

Wissen war Macht. Die Karriere der Vergangenheit fußte auf der thematischen Lufthoheit der Protagonisten über ihrem jeweiligen Fachgebiet: Entscheidungen waren „sofort“ fällig und beruhten auf der „Beurteilungskompetenz“ der Entscheider. Dieses Skillset geriet zunehmend in Bedrängnis: Unmittelbare Entscheidungen sind an Maschinen übergeben; die sind zuverlässiger, übersehen nichts und reagieren schneller und angemessen. 

Inzwischen zählt Quellenkenntnis, denn Wissen veraltet im Quartalsabstand. Dem Manager heute obliegen deswegen die prospektiven, die strategischen Entscheidungen; doch wird auch dieser Aufgabenbereich durch Verschränkungen und Interdependenzen („Alles hängt mit allem irgendwie zusammen“, Schmetterlingseffekt ...) zunehmend unübersichtlich. Längst beruht der Entscheidungsbedarf großer Unternehmen auf so ausufernden, komplexen und sich überdies wechselseitig beeinflussenden Beurteilungsgrundlagen, dass eine „educated choice“ weitgehend unmöglich ist; folglich entscheidet das Management „nur noch“ über Sachverhalte, deren immanente Widersprüche von den Stäben sorgsam ausgefiltert sind. – Dass wir, anstatt uns weiter auf diese Art Roulette zu verlassen, künftig die notwendigen Algorithmen zur Herstellung von Zukunft eher an die CPUs von Rechnernetzen delegieren werden: auch dieser Trend ist bereits abzusehen. 
Das Morgen also wird von jenen gestaltet, die über einen Verarbeitungsapparat verfügen, der „on the fly“ die Grundlagen seiner Entscheidungen nachzuführen versteht. 

Wenn das stimmt, müssen für das Personal künftiger Arbeitswelten normative Entscheidungen im Vordergrund stehen, also solche, die besagen warum und zu welchen Zielen sich Systeme entwickeln sollen (während wir das WIE dann vollständig den Rechenknechten überlassen). 

Insofern also menschliche Entscheidungskompetenz sukzessive auf immer höheren Abstraktionslevels anzusiedeln ist, werden die Lücken der herrschenden Ausbildungsziele deutlich. Aus dem Wissenswachstum (einer Explosion mit weiter wachsender Sprengkraft) resultiert eine in sich widersprüchliche Entwicklung, die einerseits (vertikal) eine stete Verengung realer (das meint: weitgehend vollständiger) Kompetenz mit sich bringt und damit die „eigentliche“ Beurteilungs- und Entscheidungsräume bis zur Irrelevanz schmälert, während andererseits (horizontal) die Grundlagen unserer Präambel (s.o.) eine kontinuierliche Konvergenz befördern – und zwar nicht mehr nur von benachbarten Produktwelten. Ganze Branchen werden in den „Data Industries“ zusammenwachsen. Das aber erforderte, um sach-gestützte Entscheidungen zu ermöglichen, eine stete Ausweitung von Kompetenzen, keine Verengung. 

Hier klafft auseinander, was doch zusammengehört. 

Drittens: Curriculum

Die fatalistisch-verkürzende Schlußfolgerung, dass Kenntnisse in einer derart dynamischen Rahmenhandlung nicht nötig, nicht hilfreich oder gar hinderlich wären, führte jedoch in die Irre. 
In der grundsätzlichen Ausrichtung auf Master-Studiengänge kommt die Einsicht zum Tragen, dass künftig erfolgreiche „Verarbeitungsapparate“ nur mit einem „Kriterienkanon“ über einem „Vergleichsraum“ funktionieren. Es braucht natürlich AUCH einen breiten und, soweit möglich, tiefenscharfen Kenntnisraum über Fakten, Regeln und Zusammenhänge (... eine Ausbildung jedoch, die sich, wie in der Vergangenheit, darauf beschränkte, hat am Ende überwiegend eine „schlaumeierische Praxisuntauglichkeit“ hervorgebracht). Heute lernen künftige Manager, Gestalter, Entscheider aus Vergleichswelten, Cases, Strukturen und (Meta-)Ebenen, die es ihnen ermöglichen, eine sich ständig verändernde Entscheidungsgrundlage sozusagen zu transponieren; sie müssen also Kriterien und Massstäbe aus (eigentlich unvergleichbaren, aber in den Wirkungszusammenhängen ähnlichen) Sachverhalten ableiten. Entscheidungswissen wird dabei zum Wissen darüber, wie man zu Entscheidungen gelangt.

So entsteht (immerhin) ein grundsätzlich eher businesstauglicher Nachwuchs. Und das ist eine gute Nachricht. Allerdings bleibt diese begrüßenswerte Modifikation der Lernziele allein sehr mechanistisch: für die genannten normativen Bedarfe reicht diese höhere Laufradkompetenz nicht. 

Die Lernziele heute (und dem nachfolgend: die Lebenshaltungen) berücksichtigen nur sehr unzureichend, dass in einer konvergierenden Welt Entscheidungen eine zunehmende Flächenwirkung, und das heißt, eine Wirkung auf Lebensräume entfalten. Wer also dem Credo zustimmt, dass ökonomische Entscheidungen nicht um ihrer selbst Willen gefällt werden, und auch nicht einem egozentrischen Diktat folgen (sollten), sondern letztlich anthropozentrische Zwecken dienen (müssen), dem kann der, auch bei unseren High Potentials verbreitete, amerikanische Pragmatismus nicht genügen, nach dem jedes Rädchen nur an jedem Örtchen zu einem jeweiligen Set-of-Rules zu funktionieren hat. Dies aber würde von einem künftigen Curriculum fordern, in einem Studium Generale zunächst eine grundsätzliche „Humankompetenz“ zu erzeugen, ein Menschen- und kein betriebswirtschaftliches Maschinenprofil.

Viertens: Earth, Wind & Fire

Ein Mensch, der morgen bestehen will, muß ein Stück von der Welt kennen, und Cochstedt, Cottbus oder Coburg sind damit nicht gemeint. Ausbildung soll heißen, des Menschen Maß zu lernen: in China oder Indien, in der Geschichte oder in der Psychoanalyse, in der Musik oder der Städteplanung. In der Ökonomie, in der Liebe, im Kampf. Im Unternehmen, auf dem Bau, in der Politik. Der Impuls des letzten Jahrzehnts, die bis in die mittleren 30er Jahre andauernde Ausbildungszeit signifikant zu verkürzen, war richtig. Einfach nur „ins Werk gesetzt“, wird er jedoch falsch. Die Umbrüche der nächsten Jahrzehnte fordern von jenen, die sie meistern müssen, frühe Weisheit, Menschengröße und ein aufgeklärtes Selbstbild, einen weiten Horizont und einen tiefenscharfen Blick. Diese Qualifikationen wachsen nur zu einem kleinen Teil in den Universitäten, überwiegend folgen sie einer Einsicht und dem Willen. 
So sprachen wir. Die Diskussion rauschte wie der Fahrtwind; ein Gespräch, wie es nur noch im Auto vorkommt. Gegen Ende wurde dann noch mal aufgedoppelt, man müsste, man sollte, fast hatten wir ein Parteiprogramm. 

Abfahrt Frankfurt. Eine rote Ampel am Opelkreisel.

Vorschau-Reihenfolge
2006